Warum unsere Kinder Tyrannen werden by Michael Winterhoff

Warum unsere Kinder Tyrannen werden by Michael Winterhoff

Author:Michael Winterhoff [Winterhoff, Michael]
Language: deu
Format: epub
Publisher: PeP eBooks
Published: 2010-04-03T22:00:00+00:00


Haben Sie nicht was Einfacheres? Partnerschaftlichkeitskonzepte in der Schule

Folgende kleine Szene aus einer Buchhandlung wird Ihnen vermutlich zunächst einmal ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubern, da geht’s mir wie Ihnen: Die Mutter einer Neunjährigen kommt in die Buchhandlung und spricht die Buchhändlerin am Lernhilfenregal hilfesuchend an: »Ich brauche unbedingt was für Mathe, vierte Klasse, meine Tochter bleibt sonst sitzen!« Nachdem die Buchhändlerin ihr einige Bücher zur Auswahl vorgelegt hat, wendet sich die Mutter erneut an sie: »Die sind alle so kompliziert. Haben Sie nicht was Einfacheres?«

Diese Szene aus einem Weblog, der den Buchhändleralltag beschreibt, scheint auf den ersten Blick harmlos und witzig, auf den zweiten Blick offenbart sie, wie sich das Absenken des als normal empfundenen Leistungsniveaus in den Köpfen der Eltern festgesetzt hat. Die Mutter sucht nicht nach einer Hilfe, um ihre Tochter auf das in der Schule geforderte Niveau zu heben, sondern sie selbst empfindet dieses bereits als viel zu hoch, ist also voll auf der Seite ihrer Tochter und möchte diese keinesfalls mit diesem Niveau konfrontieren. Auf die Idee, dass sie ihr damit nicht weiterhilft, kommt sie gar nicht erst.

Möglicherweise ist das eine ausgefallene Reaktion, aber wie immer machen erst die Extremfälle auf die Regel so richtig aufmerksam.

An dieser kleinen Geschichte könnte auch noch etwas besonders fatal sein, was ich ob der Unkenntnis des speziellen Falls nicht wissen kann. Denn für die Schule, gerade auch die Grundschule, gilt Ähnliches wie für den Kindergarten: Das Anspruchsniveau ist bereits über die Jahre stetig abgesenkt worden. Wenn nun diese Mutter sich noch weiter hinab begibt, bleibt die Frage, welche mathematischen Fähigkeiten ihre Tochter überhaupt noch haben sollte. Die Antwort der Mutter würde vermutlich lauten: »Wenn meine Tochter ohne Mathe glücklich wird, ist das gut, sie soll zu nichts gezwungen werden.«

Schule wird oft als unangenehm empfunden, derweil sie mit Pflichten verbunden. Was ich hier frei nach Wilhelm Busch in den Raum stelle, beschreibt die Problematik. Die Mutter aus der Buchhandlung würde Pflichten wohl noch durch das härtere »Zwang« ersetzen, sich erinnernd an ihre eigene Schulzeit bzw. an noch gar nicht so lange vergangene Zeiten, in der Schulunterricht eine ganz bestimmte, heute vielfach gegeißelte Form hatte.

Diese Form sah vor, dass der Lehrer ganz selbstverständlich eine Führungs- und Integrationsfigur war. Unterricht erfolgt überwiegend im Frontalunterricht; die zeitliche, inhaltliche und formale Abfolge der Tagesabläufe ähnelte sich. Lehrer waren sich vollkommen darüber im Klaren, dass ihre Tätigkeit neben der Vermittlung von Fachkenntnissen auch der Einübung vieler Funktionen etwa im Hinblick auf Feinmotorik und Koordination bestand. Darüber hinaus wurde auf das Eintrainieren von Arbeitshaltung und von Lernweisen geachtet, soziale Fähigkeiten wurden für wichtig erachtet, etwa auch, damit die an der Schule bestehenden Regeln des Zusammenlebens für die eigenen Regeln internalisiert werden konnten. Die Kinder wurden früher darin bestärkt, ihre Position im Rahmen der Klasse, also einer größeren Gruppe wahrzunehmen und entsprechende Grenzen in ihrem eigenen Verhalten zu berücksichtigen.

Auf Seiten des Lehrers bestand zur Durchsetzung der Verhaltensmaßregeln und des Lernerfolges ein ganz bestimmtes pädagogisches Rüstzeug, beginnend mit dem zentralen Instrument der Notenvergabe, aber auch mit Sanktionen wie Nachsitzen, Zusatzaufgaben oder Klassenbucheintragungen mit den entsprechenden Konsequenzen.



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