Nirgendwo in Afrika by Stefanie Zweig

Nirgendwo in Afrika by Stefanie Zweig

Author:Stefanie Zweig [Zweig, Stefanie]
Language: deu
Format: epub
Published: 2013-06-03T16:00:00+00:00


13

Am Morgen des 6. Juni 1944 saß Walter zwei Stunden vor dem Weckruf in der leeren Mannschaftsmesse. Durch die schmalen, offenen Fenster kroch die belebende Kühle der mondgelben Nacht und verdampfte in den Holzwänden, die für kurze, unerwartet erfreuliche Augenblicke so frisch rochen wie die Zedern von Ol' Joro Orok. Für Walter war die Zeit zwischen Dunkelheit und Dämmerung ein willkommenes Geschenk seiner Schlaflosigkeit und ideal, um Gedanken und Bilder zu entwirren, Briefe zu schreiben und ungestört von den argwöhnischen Blicken jener Soldaten, die das Glück des richtigen Geburtslandes hatten und zu wenig Fantasie, um es auch zu schätzen, Nachrichten in deutscher Sprache zu suchen. Er stopfte das grobe Khakihemd, das weit besser für den Krieg im europäischen Winter als für die heißen Tage am Südrand des Sodasees von Nakuru geeignet war, in die Hose und genoß seine Zufriedenheit als das erregendste Erlebnis der neuen Sicherheit.

Nach seinen ersten vier Wochen beim Militär hatte er sich noch immer nicht genug an das fließende Wasser, das elektrische Licht und die Erfülltheit der Tage gewöhnt, um sie nicht bewußt als lang entbehrte Wohltaten zu genießen. Es war ihm eine kindische Freude, in seiner Freizeit zur Schreibstube zu gehen und dort den Telefonapparat anzuschauen. Manchmal nahm er sogar den Hörer in die Hand, um sich am Ton des Freizeichens zu freuen.

Er genoß es jeden Tag aufs neue, Radio zu hören und sich keine Gedanken um die Batterie machen zu müssen. Als der Zahnarzt der Kompanie ihm grob und ungeschickt die zwei Zähne zog, die ihn seit den ersten Tagen in Ol' Joro Orok geplagt hatten, empfand er selbst den Schmerz noch als Beweis, daß er es weit gebracht hatte - er brauchte sich nicht um die Rechnung zu sorgen. Wann immer seine körperliche Erschöpfung es zuließ und seit ein paar Tagen die heftigen Schweißausbrüche, gönnte er sich den Genuß, pedantisch die Bilanz seines abermals abrupt veränderten Lebens zu ziehen.

Walter hatte in einem Monat mehr gehört, geredet und selbst gelacht als in den fünf Jahren auf den Farmen in Rongai und Ol' Joro Orok. Er aß vier Mahlzeiten am Tag, zwei davon mit Fleisch, die ihn nichts kosteten, hatte Wäsche, Schuhe und mehr Hosen, als er brauchte, konnte seine Zigaretten zum Billigtarif für Soldaten kaufen und hatte Anspruch auf eine Wochenration Alkohol, die ihm ein Schotte mit Schnurrbart schon zweimal gegen drei freundliche Schläge auf den Rücken abgehandelt hatte. Von seinem Sold als Private der British Army konnte er Reginas Schule bezahlen und Jettel noch ein Pfund nach Nairobi schicken. Außerdem bekam sie einen monatlichen Zuschuß von der Army. Vor allem lebte Walter ohne Furcht, daß jeder Brief die Kündigung seiner ungeliebten Stellung bedeuten und ihn vernichten könnte.

In einem Spind lagen Papier und Briefumschläge; zwischen leeren Flaschen und vollen Aschenbechern stand ein Tintenfaß, daneben lag ein Federhalter. Bei dem Gedanken, daß er sich nur zu bedienen brauchte und die Army auch seine Post frankieren und befördern würde, fühlte er sich so satt wie der hungrige Bettler vor dem Berg aus süßem Brei im Schlaraffenland. An der Wand hing ein vergilbtes Foto von George VI.



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