Maengelexemplar by Sarah Kuttner

Maengelexemplar by Sarah Kuttner

Author:Sarah Kuttner [Kuttner, Sarah]
Language: deu
Format: epub
ISBN: 3104000964
Publisher: S. Fischer Verlag GmbH
Published: 2009-01-09T23:00:00+00:00


Neben meinem normalen Leben habe ich auch die Arbeit wieder aufgenommen. Natürlich nicht die echte, tolle Arbeit, sondern die Kellnerei in der Kneipe. Arbeit mit Menschen. Das, was alle total gerne mögen: mit Menschen zu tun haben. Ich mag Menschen nicht besonders, aber ich habe keine Wahl, wenn ich nicht arbeite, werde ich verrückt. Verrückter.

Also kellnere ich dreimal die Woche im »Heidewitzka«.

Mit Ironie ist das so eine Sache. Ich glaube fest, dass Ironie ein stinkendes Abfallprodukt des guten alten Humors ist. Ironie ist sehr einfach, aber nicht besonders schön. Na, du riechst aber gut, wenn jemand verschwitzt ist. Haha, wenn etwas nicht lustig ist. Du bist aber gut drauf heute, wenn man beschissen geschlafen hat und zu Recht eine Fresse zieht. Nee, ich lauf immer so rum, wenn man jemanden fragt, ob er sich extra rausgeputzt hat. Ironie wird immer beliebter, und sie ist schuld daran, dass mein Dasein als Kellnerin ungleich hässlicher ist, als es ohne Ironie hätte sein können.

In das »Heidewitzka« gingen bis vor wenigen Jahren nur fertige, unglückliche, alte Männer. Es war eine typische Eckkneipe, die immer verraucht war, wo immer Fußball lief, und in der man auf die Fresse bekam, wenn man grün wählte. Die traurigen Männer tranken, ergeben in ihr Schicksal, leise ihre Biere oder spielten Karten am Stammtisch. Und sie waren reizend zu uns jungen Dingern. Ihre Komplimente waren echt und saßen so locker wie ihre Zähne. Hin und wieder gab es einen Klaps auf den Po, aber man wusste genau, wo man sich Appetit holt, und wo gegessen wird.

Im »Heidewitzka« auf jeden Fall nicht, da gab es nämlich nur Salzstangen und aufgeplatzte Bockwurst. Für einen echten traurigen Mann ist das natürlich nur ein Snack, keine richtige Mahlzeit. Man war auch nicht hier, um zu essen, sondern um zu jammern. Ich liebte die Stammgäste.

Dann kam die alte Schlampe Ironie und machte alles kaputt. Plötzlich erkoren junge Männer das »Heidewitzka« zu einem Ort, der so uncool ist, dass er schon wieder cool ist, und sie kamen in Scharen. Sie brachten Frauen mit Tätowierungen mit, und vor allem Bedürfnisse. Mit der Zeit gab es Kickertische, Cappuccinos, isotonische Trendgetränke und sogar eine Speisekarte. Die alten traurigen Männer mit Problemen verloren gegen die jungen glücklichen Männer mit Geld. Umsatz schlägt Seele im großen Marktwirtschafts-Schnick-Schnack-Schnuck.

Sie sind immer noch da, die Alten. Aber sie sind weniger, sitzen in Ecken und fühlen sich älter und überflüssiger denn je. Dabei sind sie der einzige Grund, warum ich noch hier arbeite. Um ihre H-Milch-Augen für einen kurzen Moment zum Glänzen zu bringen, wenn ich ihnen ihr Pils serviere und dann den Hintern ein klitzekleines bisschen rausstrecke, damit sie draufklapsen können.



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