Ab ins Bett! by Baddiel David

Ab ins Bett! by Baddiel David

Author:Baddiel, David [Baddiel, David]
Language: deu
Format: epub
Published: 0101-01-01T00:00:00+00:00


14

»Happy birthday to you! Happy birthday to you! Happy birthday dear Mutti... «

Lächelnd, die Haare frisch in der Farbe ihres blauen Briefpapiers waschgetönt, beugt sich meine Großmutter über die Kerzen auf ihrer Torte, die kunstvoll mit Zuckergußmodellen der bedeutendsten Monumente von Gdansk aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg dekoriert ist. Sie macht einen gut kalkulierten tiefen Atemzug, so wie es nur jene können, für die das Atmen nicht mehr völlig selbstverständlich ist.

»Happy birthday to you!!!«

Ihre Falten glätten sich für einen Moment, während sie die Wangen aufbläst: Die kostbare Luft kommt eher wie asthmatischer Hauch aus ihren Lungen, erweist sich aber als kraftvoll genug, die Kerzen auszublasen, von denen es, glücklicherweise, bloß vier und nicht vierundachtzig gibt. Nur die rosane gedrechselte oben auf der Marienkirche, der mittelalterlichen, ganz Gdansk überragenden Kathedrale, die 1945 beim Ansturm russischer Artillerie zerstört wurde, erweist sich als widerspenstig und flackert wieder auf, nachdem ein winziges Rauchwölkchen um den Docht schon ihr Verlöschen anzukündigen schien.

»Oh!« sagt meine Großmutter durch den Applaus ihrer engsten Familie hindurch. »Die ist wie die makkabäische Lampe.«

Mitten im Applaudieren suchen Alices Mahagoniaugen instinktiv die Bens.

»Die makkabäische Lampe«, sagt er und legt seinen Mund auf eine Art an ihre Ohrmuschel, die mir wieder einmal deutlich macht, daß er das Recht hat, diesen angedeuteten Akt zu vertiefen, wie es ihm beliebt, »war ein geweihtes Licht, das wundersamer

Weise während der ganzen römischen Belagerung des zweiten Tempels brannte, obwohl wir kein Ol mehr hatten.«

Der Applaus verebbt. Die anderen Bewohner des Liv Dashem-Heims, die sich gerade im Fernsehzimmer aufhalten, gucken grämlich zu uns hin, vielleicht weil unser Familiensingen nicht sonderlich ist, aber wahrscheinlich eher, weil hier Familienbesuch als Statussymbol gilt. Das Auftauchen von Verwandten ist harte Währung oder wie Glimmstengel im Knast, und gleich zwölf davon, die im Kreis herumstehen und jede Bewegung von einem beklatschen, wird als Protzerei aufgefaßt. Der Mann mit den dicken Brillengläsern, dem ich letztesmal im Aufzug begegnete - Mr. Fingelstone nannte ihn eine der Schwestern, glaube ich -, sitzt in der allerhintersten Ecke in einem Schaukelstuhl mit blauen Flanellkissen und guckt besonders verdrossen; dann knurrt er laut vernehmlich vor sich hin, als meine Mutter, die für die Torte sorgte, meine Großmutter in den Arm nimmt und die beiden plötzlich aussehen wie ein doppelköpfiges jüdisches Muttermonster.

»Wir?« sage ich zu Ben. Er steht neben mir, Alice auf seiner anderen Seite.

»Die Juden«, schnauzt er zurück, ohne mich anzusehen, was heißen soll: »Du weißt ganz genau, was ich meinte.«

Ich betrachte sein Profil und frage mich, wie sehr es meinem ähnelt. »Hast du das noch von der Grundschule gewußt?« Obwohl wir beide später auf (verschiedene) nichtkonfessionelle Gymnasien gingen, teilten wir uns in der jüdischen Tagesschule für Fünf- bis Elfjährige in Nordwestlondon koscheren Pudding und trugen die obligatorischen Kappen.

»Nein«, sagt er und guckt mich endlich an. »Ich habe es letzte Woche in einem Buch gelesen.«

Welch leichte Bettlektüre mag das gewesen sein, frage ich mich, bekomme aber keine Chance, die Sache weiterzuverfolgen, da meine Tante Edie — in Wirklichkeit meine Großtante Edie, aber sie zieht es vor, daß wir



Download



Copyright Disclaimer:
This site does not store any files on its server. We only index and link to content provided by other sites. Please contact the content providers to delete copyright contents if any and email us, we'll remove relevant links or contents immediately.