Herbst by Hermann Hesse

Herbst by Hermann Hesse

Author:Hermann Hesse [Hesse, Hermann]
Language: deu
Format: epub
Published: 2013-10-19T16:00:00+00:00


// Es regnet ganz gewaltig, und gegenüber scheint eineDachrinne sich verstopft zu haben, dort fällt aus schöner Höhe ohne Unterbrechung ein kleiner eifriger Wasserfall auf den gepflasterten Platz hinunter. An solchen Dachwasserfällen haben wir als Kinder verbotenerweise die Regenschirme unserer Mütter und Tanten ausprobiert, es war ein hübsches Spiel.

Im Fenster lehnend, wo es bei besserem Wetter um diese Stunde Sperlinge und Buchfinken zu füttern gäbe, sehe ich dem endlosen Sichergießen der himmlischen Wasser zu. Ich denke mir: wenn es nun so weiter regnen würde, heute und morgen und übermorgen, tagelang, wochenlang, monatelang immer weiter und weiter – was würde da werden? Da würde auf den Straßen eine angenehme Ruhe entstehen, die Automobile würden wegbleiben, mitten auf den lebensgefährlichsten Fahrdämmen würden die Regenmolche quaddeln. Es blieben dann allmählich auch die Eisenbahnen aus, und die Post, denn die Geleise wären überschwemmt und die meisten Tunnels würden einsinken und herunterbröckeln. Und zuletzt würde das Meer steigen, langsam steigen, und würde von der Küste aus sich das Land erobern. Es wäre schad um manches Fischerdorf, gewiß, und um manchen edlen Olivenbaum, der sich grau und wehend übers blaue Wasser beugt. Aber, so denke ich mir in meiner verregneten sonntäglichen Trägheit, es brauchte das Meer nur um wenige Dutzend Meter zu steigen, dann wäre alles das ausgelöscht und ersäuft, was den Lärm und Unfrieden in die Welt bringt. Es liegen nahezu sämtliche Weltstädte nur in sehr kleiner Erhöhung über dem Meere, und wenn es zwanzig Jahre regnen müßte, damit der Jura und der Schwarzwald oder gar die Alpen ersäuft würden, so würde es für New York, London, Berlin usw. unendlich viel weniger Zeit brauchen. Wie sehr schade es darum sein würde, ist ja nicht auszudenken. Aber an einem Regentag mit diesem Gedanken zu spielen, ist merkwürdig befriedigend.

(Aus: »Verregneter Sonntag«, 1928)



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