Die Tochter des Schmieds by Aufbau

Die Tochter des Schmieds by Aufbau

Author:Aufbau
Language: deu
Format: epub
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Publisher: Aufbau


Das erste eigene Kleidungsstück, das Gül an der Nähmaschine näht, ist eine Unterhose aus dem Rest eines braunen mit orangefarbenen Blumen bedruckten Stoffes. Gül näht eine Unterhose für Melike, doch sie nimmt die Unterhose nicht gleich mit heim, denn sie möchte für jede ihrer Schwestern eine Unterhose nähen.

Im Frühling ist es soweit, sie hat vier Unterhosen fertig und freut sich, daß sie ihren Schwestern etwas schenken kann. Als ihre Mutter die Unterhosen sieht, eine braune mit Blumen bedruckte, eine purpurne, eine zitronengelbe und eine froschgrüne mit blauem Tropfenmuster, sagt sie:

– Geh. Wer soll das denn anziehen? Das sind ja Farben, wie Zigeuner sie tragen.

Gül, Sibel, Nalan und Melike stehen da, Sibel und Nalan mit ihren Unterhosen in der Hand, Melikes liegt auf dem Boden. Noch bevor Gül die Tränen kommen können, noch bevor irgend etwas passieren kann, sagt Melike:

– Die zieht man doch drunter. Das sieht doch sowieso keiner. Ich ziehe meine auf jeden Fall an, da kann mich niemand dran hindern.

So tragen die Schwestern im Frühling Unterhosen, die zwar leuchten, die aber niemand sehen kann.

Eines Tages kommen Melike und Sibel kichernd zu Gül und sagen:

– Oma sieht nichts mehr.

– Ihre Augen sind nicht mehr so gut, sagt Gül.

– Nein, sagt Melike, sie sieht gar nichts mehr.

– Woher willst du das wissen?

– Ich habe mich hingesetzt, so unschicklich, ich habe die Beine aufgemacht und Sibel auch, und man konnte uns unter den Rock sehen, auf die bunten Unterhosen. Und Oma hat die Unterhosen nicht gesehen, sie hat nicht mal gesehen, daß wir unschicklich saßen.

Zeliha erkennt das Geld, das sie in der Hand hält, sie kann die Scheine und Münzen aufgrund ihrer Größe auseinanderhalten. Die Menschen erkennt sie mittlerweile am Geräusch ihrer Schritte, doch sehen kann sie kaum noch. Würde ihre Tochter nicht bei ihr wohnen, hätte sie Schwierigkeiten, ihren Alltag zu regeln. Hülya erledigt alles, wofür man Augen braucht, und Zeliha verbringt ihre Zeit im Schneidersitz, den Rücken mit einem großen, harten Kissen gestützt. Ein Glas Tee in der einen Hand, eine Zigarette in der anderen, kommandiert sie die Leute herum. Fenster auf, Fenster zu, neuen Tee aufsetzen, ihr ein Glas Wasser bringen oder Feuer geben, Zigaretten kaufen beim Krämer. Irgend etwas muß Gül immer tun, wenn sie dort ist, und ihren Schwestern und ihrer Mutter ergeht es nicht anders. Zeliha scheint Vergnügen daran zu finden, möglichst vielen verschiedenen Menschen Anweisungen zu geben.

Ihren Enkeln ist sie noch unheimlicher, seitdem sie blind ist und sich so wenig bewegt. Seit sie nicht mehr sieht, ist auch ihre Stimme noch dunkler geworden, weil sie mehr raucht, wenn sie weniger zu tun hat. Gül mag ihren schweren Geruch nicht, ihren Geruch nach Rauch und altem Schweiß, nach Teer und ein wenig nach dem abgegriffenen Geld, das sie in einem Bündel in ihrem Strumpf trägt.

Zeliha bekommt Geld von Timur, und sie läßt Hülya das eine oder andere kleine Geschäft tätigen, ein paar Walnüsse verkaufen, ein halbes Kilo getrockneten Traubensaft, selbstgemachte Marmelade, ein paar alte Kupfernäpfe. Diese Frau, die nie eine Schule besucht hat, kann gut



Download



Copyright Disclaimer:
This site does not store any files on its server. We only index and link to content provided by other sites. Please contact the content providers to delete copyright contents if any and email us, we'll remove relevant links or contents immediately.