Der Tod meiner Mutter by Diez Georg

Der Tod meiner Mutter by Diez Georg

Author:Diez, Georg [Diez, Georg]
Language: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
Publisher: eBook by Kiepenheuer&Witsch
Published: 2009-09-20T22:00:00+00:00


Ich lief die Straße entlang, die zurückführte in meine Kindheit. Ich war mit der Trambahn bis zum Effnerplatz gefahren, wo ich früher immer umsteigen musste, vom Bus Nummer 188 in die Trambahn Nummer 20 und umgekehrt, auf dem Weg in die Schule, auf dem Weg nach Hause. Ich hatte es damals gehasst, so weit draußen zu wohnen, am Rand der Stadt, so viel weiter draußen als alle meine Freunde, und jede Fahrt mit dem Bus und besonders jede Fahrt mit dem Fahrrad den steilen Berg von der Isar hinauf und dem Wind und dem Regen entgegen hatte mir das immer wieder neu bewiesen.

Daran dachte ich, als ich ausstieg. Es war gut, dass diese Zeit so weit weg war. Ich schwitzte. Es war ein warmer Tag und ich ging schneller, als ich musste. Ich war zu spät dran, aber das war nicht schlimm.

In der Mitte der Straße wuchs ein breiter Streifen Rasen, es war trockenes Gras. Mein Vater hatte mir einmal erzählt, dass bei uns im Viertel ein Kind getötet wurde, als es auf dem Mittelstreifen lief, ein Autofahrer verlor die Kontrolle und raste knapp an dem grünen Mast der Straßenlampe vorbei und riss das Kind mit. Ich stellte mir immer diese Straßenlampe und dieses Grün vor, das ganz stumpf war und ziemlich hell, fast wie Moos.

Als ich jetzt auf dem Mittelstreifen ging, sah ich meinen Vater, wie er in seinem roten Citroën sitzt und das Lenkrad hält, und vielleicht hat er sogar die beige Schiebermütze auf, die er manchmal zum Autofahren aufsetzte. Er hatte selbst einmal einen Jugendlichen angefahren, er lief einfach auf die Straße, siebzehn Jahre alt war er, mein Vater fuhr wie immer nicht sehr schnell, der Jugendliche hatte einen Schädelbasisbruch und überlebte.

Das war genau hier, genau vor diesen Reihenhäusern am Effnerplatz, die in den dreißiger Jahren gebaut wurden, mit den kleinen Fenstern, schmal und bunt waren sie und mit spitzen Dächern, die dem Verkehr trotzten, der um sie herumbrauste. Es waren drei Spuren, die aus der Stadt hinausführten, in Richtung Norden und mitten durch das Stadtviertel, wo die Kirche meines Vaters war und das Hochhaus, in dem meine Mutter und ich gewohnt hatten. Dann wendete sich die Straße in einem weiten Bogen nach links und über die Isar und am Rand des Englischen Gartens entlang zur Autobahn. Hinten, am Horizont, wuchsen die Schornsteine des Heizkraftwerkes von Unterföhring in den Himmel, irgendwie tröstlich, irgendwie tödlich.

Auf der rechten Seite der Effnerstraße stand das Altersheim, das grau und müde aussah und vor ein paar Jahren geschlossen wurde, weil niemand mehr in so einem Heim wohnen wollte mit Zimmern, die zu eng waren, und Methoden, die nicht mehr in die Zeit passten. Der Rasen davor war nicht gemäht, die Einfahrt lag verloren da. Mein Vater hatte dort früher manchmal Gottesdienste gehalten; jetzt umgrenzte ein Metallzaun das Gelände, wenn das Altersheim erst einmal abgerissen war, sollte hier, das war der neue Name, das war die neue Zeit, eine Seniorenresidenz gebaut werden. Aber es gab wohl Probleme, weil das Gebäude mit Asbest verseucht war.



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