Shotgun Lovesongs by Nickolas Butler

Shotgun Lovesongs by Nickolas Butler

Author:Nickolas Butler [Butler, Nickolas]
Language: deu
Format: epub
ISBN: 9783608980080
Amazon: 3608980083
Publisher: Klett-Cotta
Published: 2013-09-22T22:00:00+00:00


Mein Vater hatte keine Freunde. Er spielte in keinem Softballverein und er war auch nicht Mitglied in irgendeiner Bürgerinitiative. Wenn wir in die Kirche gingen, schüttelte er anderen Vätern die Hand. Ich kann mich noch genau daran erinnern, an seine kurzärmeligen Hemden im Sommer und seine marineblauen wollenen Anzugsjacken im Winter. Ich sehe ihn vor mir, wie er das Gesangbuch mit beiden Händen hält, damit ich den Liedtext auch lesen konnte. Seine Finger zeichneten die Noten nach, die weder er noch ich zu deuten wussten. Wir konnten allenfalls nachvollziehen, wenn die Musik in die Höhe ging oder wieder tiefer wurde. Sein Bariton und mein Sopran vereinten sich zu einem feierlichen, etwas verlegenen Brummgesang. Ich rieche heute noch sein Aftershave, spüre seine Hand auf meinem Nacken. An all das kann ich mich erinnern. Aber ich erinnere mich nicht, dass er irgendwelche Freunde gehabt hätte.

Er war Farmer, genau wie ich es heute bin. Seine Herde, die er mit meiner Mutter zusammen melkte, umfasste jedoch nur ungefähr fünfzig Guernsey- und Jerseykühe, auch wenn das für die damalige Zeit schon ein recht großer Viehbestand war. Meine Herde ist auf mehr als das Doppelte angewachsen, und ich kann kaum noch Schritt halten, trotz Beths Hilfe. Trotzdem muss man sagen, dass er noch viel härter gearbeitet hat als ich. Auch daran erinnere ich mich, wie er draußen im Melkstand war, die Hände unter dem Euter einer Kuh vergraben. Das war noch, bevor es diese ganzen neuen Maschinen gab, die ich jetzt habe. Aber auch mein Vater begann schon damit, sich seinen eigenen Maschinenpark anzuschaffen, als ich noch ein Teenager war. Ich erinnere mich an seine stark behaarten Unterarme und wie sie am späten Vormittag schon voller Motoröl und Achsenfett waren, von dem alten Traktor, an dem er andauernd herumreparierte. Und daran, wie er morgens in unserer Küche seinen Kaffee schlürfte und einen Teller Rührei aß. Wie er mittags über der Spüle stand, ein Sandwich mit Salami, Zwiebeln und Senf aß und über die Felder zur Scheune schaute, auf die Kühe, die dort draußen träge vor sich hin grasten. In solchen Momenten hatte er einen Blick in den Augen, der unmöglich zu deuten war. Es hätte der Ausdruck reinster Zufriedenheit sein können, aber genauso gut auch ein Schock, als hätte er gerade einen Geist gesehen und habe nun die unumstößliche Gewissheit, von einem bösen Spuk heimgesucht zu werden.

Abends aßen wir immer schon früh, und meine Mutter sprach mit uns das immer gleiche Tischgebet. Nach dem Essen trug ich das Geschirr zum Spülen in die Küche, während Dad sich in seinen Lieblingssessel setzte, um die Abendnachrichten zu schauen. Dabei schüttelte er jedes Mal den Kopf und sagte traurig: »Ich weiß nicht mal, warum ich mir das überhaupt noch anschaue.«

Er ist vor drei Jahren gestorben. Ich bin sehr froh, dass er unsere Kinder noch kennengelernt hat, dass ihm noch die Zeit blieb, mit ihnen zu spielen, sie im Krankenhaus im Arm zu halten, als sie gerade geboren waren. Ich weiß, dass er stolz auf sie war, auf Beth, auf mich.



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