Insomnia (Schlaflos) by Stephen King

Insomnia (Schlaflos) by Stephen King

Author:Stephen King
Language: de
Format: mobi


Kapitel 15

Um zwanzig Minuten vor sieben stoppte ein perfekt erhaltener Lincoln Town Car aus den siebziger Jahren am Bordstein vor Lois' Haus. Ralph - der die letzte Stunde damit verbracht hatte, zu duschen, sich zu rasieren, und der versucht hatte, sich zu beruhigen - stand auf der Veranda und sah zu, wie Lois vom Rücksitz ausstieg. Man sagte sich auf Wiedersehen, und mädchenhaftes, schrilles Gelächter wurde ihm mit dem Wind zugetragen.

Der Lincoln fuhr weg, und Lois ging den Fußweg zu ihrem Haus entlang. Auf halbem Weg blieb sie stehen und drehte sich um. Eine ganze Weile betrachteten die beiden sich von ihren gegenüberliegenden Positionen auf der Harris Avenue und sahen trotz der hereinbrechenden Dunkelheit und der zweihundert Meter, die sie voneinander trennten, ausgezeichnet. Sie leuchteten in dieser Dunkelheit füreinander wie Fackeln.

Lois deutete mit dem Finger auf ihn. Die Geste ähnelte der, mit der sie auf Doc Nr. 3 geschossen hatte, aber das beunruhigte Ralph nicht im geringsten.

Absicht, dachte er verträumt. Alles liegt in der Absicht. Es gibt wenige Fehler auf dieser Welt... und wenn man sich erst einmal auskennt, gibt es vielleicht gar keine Fehler mehr.

Ein schmaler, grau leuchtender Energiestrahl kam aus Lois' Finger und bahnte sich einen Weg durch die dunklen Schatten der Harris Avenue. Ein vorbeifahrendes Auto durchquerte ihn unbeschadet. Die Fenster des Autos leuchteten kurz grell und grau auf, und die Scheinwerfer schienen einen Moment zu flackern, aber das war alles.

Ralph hob ebenfalls einen Finger, aus dem ein blauer Strahl hervorschoß. Diese beiden gebündelten Lichtstrahlen trafen sich in der Mitte der Harris Avenue und schlangen sich umeinander wie wilder Wein. Der geflochtene Zopf stieg immer höher und höher, wobei er leicht verblaßte. Dann krümmte Ralph den Finger, und seine Hälfte des Liebesknotens verschwand. Einen Moment später erlosch Lois' Hälfte ebenfalls. Ralph ging langsam die Verandatreppe hinunter und über seinen Rasen. Lois kam ihm entgegen. Sie trafen sich mitten auf der Straße... wo sie einander in einem durchaus realen Sinne bereits getroffen hatten. Ralph legte die Arme um ihre Taille und küßte sie.

Du siehst verändert aus, Roberts. Irgendwie jünger.

Diese Worte gingen ihm nicht aus dem Sinn - sie wiederholten sich wie eine Endlosbandschleife -, als Ralph in Lois' Küche saß und Kaffee trank. Er konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Sie sah problemlos zehn Jahre jünger und zehn Pfund leichter als die Lois aus, an die er sich in den vergangenen Jahren gewöhnt hatte. Hatte sie heute morgen im Park schon so jung und hübsch ausgesehen? Ralph glaubte es nicht, aber selbstverständlich war sie heute morgen durcheinander gewesen und hatte geweint, und er vermutete, daß das schon etwas ausmachte.

Trotzdem...

Ja, trotzdem. Das Netz winziger Fältchen um ihren Mund herum war verschwunden. Ebenso die beginnenden Truthahnhautfalten am Hals und das erschlaffte Fleisch an den Oberarmen. Heute morgen hatte sie geweint, und heute abend strahlte sie vor Glück, aber Ralph wußte, das konnte unmöglich alle Veränderungen erklären, die er sah.

»Ich weiß, was du siehst«, sagte Lois. »Es ist unheimlich, nicht? Ich meine, es beantwortet die Frage, ob wir uns alles nur eingebildet haben oder nicht, aber es ist trotzdem unheimlich.



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