Ich war Hitlerjunge Salomon by Sally Perel

Ich war Hitlerjunge Salomon by Sally Perel

Author:Sally Perel [Perel, Sally]
Language: deu
Format: epub
ISBN: 3894797371
Publisher: Nicolaische Verlagsbuchhandlung
Published: 2013-02-27T23:00:00+00:00


Sie konnte meine bange Neugier nicht stil en und vermutete,

daß es sich um eine bloße verwaltungstechnische Formalität

handele. Sie riet mir, mich vom Sportunterricht befreien zu

lassen und gleich morgen früh der Vorladung Folge zu leisten.

Ich verließ den sonnendurchfluteten Raum. Hitlers übergro-

ßem Photo gelang es, mich wie eine Spiegelfläche zu blenden.

Ich hatte vor, mich mit meinem einzigen offiziellen Dokument,

meiner Mitgliedskarte der Hitlerjugend, zu versehen. Ich hoffte,

daß der Riesenschwindel am nächsten Tag bei Gericht nicht

auffliegen würde. Eigentlich war ich davon überzeugt, daß

man mir der Ordnung halber nun endlich eine Kennkarte

des Deutschen Reichs aushändigen werde. Dafür wollte ich

ihnen durch einen besonders strammen Hitlergruß danken.

Ich ging in meine Klasse und an meine Arbeit zurück. In

jener Nacht schlief ich trotz al em wunderbar. Müdigkeit und

Erschöpfung, weil ich mit meinem Zimmergenossen Gerhard

bis spät in die Nacht gelernt hatte, taten gewiß das Ihre.

Am folgenden Morgen begab ich mich zu der Dienststelle,

die mich vorgeladen hatte. Ich ging gemächlich. Den Weg

kannte ich gut. Meine Kameraden und ich waren ihn oft

erwartungsvoll zum benachbarten Kino gelaufen, wo wir uns

die Tonfilme aus der Reichsfilmproduktion ansahen. Wenige

Häuser vom Gerichtsgebäude entfernt befand sich eine große

Konditorei. Da ich hin und wieder an ihr vorüberkam, be-

merkte ich eines Tages ein braunes Schild an der Eingangstür,

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auf dem in schwarzen Buchstaben deutlich stand: »Für Hun-

de und Juden verboten«. Gerade deshalb ging ich bei jeder

Gelegenheit hinein und kaufte Kuchen. Es machte mir Spaß,

die lächelnde Verkäuferin anzustarren und sie unterwürfig

danken zu hören. Jetzt verspürte ich allerdings keine Lust

auf ein Stück Schwarzwälder Kirschtorte.

Das Gerichtsgebäude war ein majestätischer Bau, der an die

alten Königspaläste erinnerte. Das Herz schlug mir bis zum

Hals, als ich eintrat. Der pfeilförmige Wegweiser zeigte mir

das Sekretariat, wo ich mich an einen Beamten wandte und

meine Vorladung präsentierte. In Habachtstellung wartete ich

auf seine Reaktion. »Setz dich«, sagte er höflich und begann,

in einem Stapel Papier zu wühlen. »Ach ja, es geht um die

Bestellung eines legalen Vormundes für dich.« Ich schwebte

im siebenten Himmel. Das drohende Gewitter war abgezogen,

und an seiner Stelle überfiel mich unbändige Freude.

Ich sollte meine Identität angeben. Dann legte man mir

mehrere Formulare vor, und ich unterzeichnete in Gegenwart

des Beamten ein offizielles Schriftstück über die Bestellung

eines rechtmäßigen Vormunds. Und wer wurde vor dem Gesetz

Großdeutschlands für mich als Verantwortlicher eingesetzt?

Kein anderer als der ehemalige Offizier der Waffen-SS, der

Heimführer der Hitlerjugend Karl R., mein unmittelbarer

Vorgesetzter. Sofort witterte ich hier eine neue Gelegenheit, mit

ihm auf das bewegende Ereignis mit einem Glas Cognac an-

zustoßen. Hier entstand ein wirklich ungewöhnliches Paradox,

eine in der ganzen Geschichte des Dritten Reichs einzigartige

Anekdote: Ein SS-Offizier nahm – natürlich unwissentlich –

ein jüdisches Kind unter seine Fittiche, um vor dem Gesetz

die Vaterstelle an ihm zu vertreten.

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Unter dem kalten inquisitorischen Blick des Verwaltungs-

beamten unterschrieb ich. In ihrem Eifer und ihrem Wohl-

wollen würden sie eines Tages noch fähig sein, mich mit

einem blondbezopften Mädel zu verheiraten. Diese alberne Idee

war mir plötzlich gekommen. Bester Laune verabschiedete ich

mich von dem Beamten. Fröhlich pfeifend und mit wiegenden

Schritten eilte ich den Weg zurück, um dem Heimführer,

meinem Vormund, seine neue Rolle zu verkünden und ihm

meine Freude über das jetzt zwischen uns geknüpfte Band

zum Ausdruck zu bringen.

Wieder war eine »kleine« Gefahr an mir



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