Endstation Kabul by Achim Wohlgethan

Endstation Kabul by Achim Wohlgethan

Author:Achim Wohlgethan [Wohlgethan, Achim]
Language: deu
Format: epub
ISBN: 3548372775
Published: 2009-06-09T22:00:00+00:00


Die Stadt der ehrlosen Frauen

Der Tag des Wechsels bei den KCT stand unmittelbar bevor. Für mich hieß das schon wieder Abschied nehmen nach einem Monat sehr guter Zusammenarbeit in meinem Team. Das dritte Kontingent der Kompanie 104 kam in Kürze zur Ablösung ins Land. Ihr Führer war bereits vor Ort, um sich von seinem Vorgänger über das Land, die Stadt und die Gepflogenheiten unterrichten zu lassen. Der Neue, Captain Hemskerk, kam ursprünglich aus der Laufbahngruppe der Unteroffiziere. Er hatte schon zehn Jahre als Sergeant in der niederländischen Armee auf dem Buckel, bevor er zum Offizier befördert worden war. Er hatte also sehr viel Berufserfahrung. Wir verstanden uns auf Anhieb gut, und zwischen uns entwickelte sich eine bis heute haltende Freundschaft. Auch er war etwas erstaunt, einen deutschen Fallschirmjäger in sein Team zu bekommen, sah aber in erster Linie die Vorteile, da ich bereits seit über drei Monaten im Land war. Sein erster Eindruck von mir war also mehr als positiv, was mich sehr freute. In den nächsten Tagen fuhren wir sehr viele Patrouillen in Kabul und Umgebung, um ihm ein Gefühl für die Stadt und die Menschen zu vermitteln. Auch abends saßen wir häufiger zusammen. Neugierig saugte er jede Information auf.

Bevor das »alte« Team das Einsatzland verließ, hatten wir noch einen letzten Auftrag gemeinsam zu bestehen. Im Bereich des Interconti kam es in letzter Zeit immer wieder zu Demonstrationen für oder gegen die neu gebildete Regierung. Bei diesen Demos war ein aggressives Potential erkannt worden, das wir weiter im Auge behalten sollten. Da ich mich am Interconti sehr gut auskannte, errichteten wir Tages-Beobachtungspunkte, um das Treiben überblicken und schnell eingreifen zu können, falls die Lage eskalieren sollte. Wir alle waren bestürzt, dass es so kurz nach der Loya Jirga zu solchen Ausschreitungen kommen konnte. Kaum war die Regierung gewählt, wurde gegen sie protestiert. Ein weiterer Faktor heizte die Atmosphäre an: Im September würde eine unruhige Zeit beginnen, die »Massud-Tage« genannt wurde.

Ahmed Schah Massud war einer der bekanntesten Mudjaheddin-Kämpfer im Land. Er hatte nicht nur Widerstand gegen die Russen geleistet, sondern als Führungsperson der Nordallianz auch gegen die Taliban gekämpft. Zwei Tage vor dem Anschlag auf das World Trade Center, am 9. September 2001, war er von mutmaßlichen Al-Qaida-Kämpfern ermordet worden. Massud wird im ganzen Land wie ein Heiliger verehrt, und rund um seinen ersten Todestag herum war mit vielen Veranstaltungen zu seinen Ehren zu rechnen. Der Personenkult geht so weit, dass fast überall in Kabul Massuds Konterfei zu sehen war und noch heute ist, auf teilweise gigantisch großen Bildern und Plakaten. Viele Afghanen hätten diesen charismatischen Mann viel lieber als Interimspräsidenten gesehen als den von amerikanischen Gnaden eingesetzten. Auch viele der Demonstranten am Interconti hielten Bilder dieses Mannes hoch und demonstrierten gegen Hamid Karzai. Glücklicherweise lief die Demo ruhig und relativ friedlich ab. Wir versuchten, die Stimmung einzuschätzen und potentielle Störer zu identifizieren. Wie gewohnt dokumentierten wir den Ablauf dieses Tages und gaben unseren Bericht am Abend in der niederländischen OPZ ab.

Das neue Team war nun vollständig. Ich war sehr froh darüber, dass kein Bruch in der Zusammenarbeit erfolgte.



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