Die Pest (German Edition) by Camus Albert

Die Pest (German Edition) by Camus Albert

Author:Camus, Albert [Camus, Albert]
Language: deu
Format: epub
Publisher: Rowohlt (com)
Published: 2013-01-31T23:00:00+00:00


III

So wehrten sich die Gefangenen der Pest Woche um Woche so gut sie konnten. Und einige unter ihnen, wie Rambert, schafften es offensichtlich sogar, sich einzubilden, dass sie noch als freie Menschen handelten, dass sie noch wählen könnten. Tatsächlich aber konnte man zu jenem Zeitpunkt, Mitte August, sagen, dass die Pest sich über alles gelegt hatte. Es gab damals keine individuellen Schicksale mehr, sondern eine kollektive Geschichte, nämlich die Pest und von allen geteilte Gefühle. Am stärksten waren das des Getrenntseins und des Exils, mit allem, was dies an Angst und Auflehnung mit sich brachte. Deshalb hält der Erzähler es auf diesem Höhepunkt der Hitze und der Krankheit für angebracht, die allgemeine Situation zu beschreiben und exemplarisch die Gewalttaten unserer lebenden Mitbürger, die Beerdigungen der Verstorbenen und das Leid der getrennten Liebenden.

In der Mitte jenes Jahres erhob sich der Wind und wehte mehrere Tage über die Peststadt. Der Wind wird von den Einwohnern von Oran besonders gefürchtet, weil er auf der Hochebene, auf der die Stadt erbaut war, keinem natürlichen Hindernis begegnet und sich so mit seiner ganzen Wucht in den Straßen verfängt. Die Stadt war nach diesen langen Monaten, in denen kein Wassertropfen sie erfrischt hatte, mit einem grauen Belag überzogen, der unter dem Druck des Windes abblätterte. So wirbelte er Staub- und Papierwolken auf, die gegen die Beine der seltener gewordenen Fußgänger peitschten. Man sah sie vorgebeugt, ein Taschentuch oder die Hand vor dem Mund, durch die Straßen hasten. Anstelle der Zusammenkünfte, mit denen man versucht hatte, diese Tage, von denen jeder der letzte sein konnte, so weit wie möglich zu verlängern, begegnete man kleinen Gruppen von Leuten, die nach Hause oder ins Café eilten, sodass einige Tage lang die Straßen in der Dämmerung, die um diese Zeit sehr viel früher hereinbrach, menschenleer waren und nur der Wind ununterbrochen klagte. Vom aufgewühlten und immer unsichtbaren Meer stieg ein Geruch nach Algen und Salz auf. Diese verlassene, vom Staub gebleichte, von Meeresgerüchen getränkte, vom Heulen des Windes tönende Stadt stöhnte dann wie eine unselige Insel.

Bisher hatte die Pest in den dichter bevölkerten und weniger komfortablen Außenbezirken viel mehr Opfer gefordert als im Stadtzentrum. Aber auf einmal schien sie näher zu rücken und sich auch in den Geschäftsvierteln einzunisten. Die Bewohner bezichtigten den Wind, er trage die Ansteckungskeime mit sich. «Er bringt alles durcheinander», sagte der Hoteldirektor. Aber wie auch immer, die Innenstadtbezirke wussten, dass die Reihe an ihnen war, wenn sie nachts ganz in ihrer Nähe und immer häufiger das Bimmeln der Krankenwagen hörten, das unter ihren Fenstern den düsteren, leidenschaftslosen Ruf der Pest ertönen ließ.

Man kam auf die Idee, innerhalb der Stadt bestimmte besonders stark betroffene Viertel zu isolieren und nur den Menschen, deren Dienste unentbehrlich waren, zu erlauben, sie zu verlassen. Die bisher dort Wohnenden konnten nicht umhin, diese Maßnahme als eine gezielt gegen sie gerichtete Schikane zu sehen, und hielten auf alle Fälle im Gegensatz dazu die Bewohner der anderen Viertel für freie Menschen. Diese wiederum fanden in ihren schweren Stunden Trost in der Vorstellung, dass andere noch weniger frei waren als sie.



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