Wenn Wir Tiere Waeren by Wilhelm Genazino

Wenn Wir Tiere Waeren by Wilhelm Genazino

Author:Wilhelm Genazino [Genazino, Wilhelm]
Language: deu
Format: epub
ISBN: 9783446237384
Publisher: Hanser
Published: 2011-07-24T22:00:00+00:00


7

DER ARBEITSBEGINN BEI Erlenbach & Wächter verlief problemlos und glatt. Die Angestellten begrüßten mich freundlich und gleichzeitig routiniert. Sie taten ein bisschen so, als sei mein Eintritt in ihr Büro seit langer Zeit erwartet gewesen und eigentlich überfällig. In gewisser Weise war ich ein weiterer Darsteller eines unter Architekten weithin bekannten Schemas: Nach einer Anfangszeit als freelancer wechselte ich in feste Verhältnisse. Erlenbach wies mir den früheren Schreibtisch von Autz an. Es gab eine Arbeitsgruppe von drei Kollegen, die sich mit der Hängebrücke beschäftigten, ihr wurde ich zugeordnet. Ich fing sofort an zu arbeiten und langweilte mich bald. Ich merkte es, als ich zu lange aus dem Fenster schaute und mich zu oft fragte, ob der Regen draußen gerade oder schräg vom Himmel fiel. Die Frage war nicht zu beantworten, weil niemand sagen konnte, von welchem Punkt des Himmels sich der Regen von den Wolken löste. Außerdem waren fast immer starke Winde unterwegs und trieben den Regen, bevor er auf der Erde ankam, mal dahin und mal dorthin. Dann beschäftigte ich mich mit der Kollegin, die mir gegenübersaß, Frau Fischer. Sie war etwa fünfunddreißig, schlank, hübsch, staubblond. Sie schob sich fast unablässig ihre seitlich ins Gesicht ragenden Haarspitzen in den Mund, kaute auf dünnen Haarbündeln und merkte es oft nicht mehr. Schon fragte ich mich, ob es irgend etwas gab, was ich fast ununterbrochen tat. Ein umständliches Problem war die Mittagspause. Einige Kollegen zogen sich in den sogenannten Pausenraum zurück, tranken einen Becher Kaffee und aßen ein belegtes Brot, das sie sich von zu Hause mitbrachten. Früher, als ich frei gearbeitet hatte, hatte ich ebenfalls unregelmäßig gegessen. Jetzt arbeitete ich regelmäßig und musste auch regelmäßig essen. Anfangs wollte ich es auch mit einem Brot und einem Apfel versuchen, aber ich scheiterte am Pausenraum selber. Es war ein kleiner, beige gestrichener Raum mit einem Fenster ohne Gardine und einem Eisschrank an der linken Wand. Als ich zum ersten Mal in den Raum hineinsah, stand ein einzelnes verlassenes Joghurt auf dem Resopaltisch in der Mitte. Eine andere Kollegin, Frau Bauernfreund, besorgte sich am Wochenanfang die Speisepläne der umliegenden Fastfood-Lokale und Schnellmetzgereien. Frau Fischer entblödete sich nicht, am Montagmorgen vorzulesen, was es die Woche über da und dort zu essen gab. Etliche Fastfood-Anbieter stellten neuerdings Tische und Stühle nach draußen, ganz so, als wären sie »richtige« Restaurants. Man konnte dann verlassen wirkende Menschen sehen (ähnlich wie das Joghurt auf dem Resopaltisch), die an ungedeckten Tischen saßen und irgend etwas verzehrten.

Auch ich hatte Hunger, aber ich wollte mich weder in ein Fastfood-Lokal setzen noch in einer Imbiss-Ecke herumstehen. Ich lief allein in der Gegend umher und sagte immer mal wieder zu mir: Dein Problem ist lächerlich. Wenn es einen Park gegeben hätte, dann … aber es gab keinen Park. Einmal rief Karin an und bat mich, Michaels Schreibtisch zu räumen und ihr seine Privatsachen mitzubringen. Dabei fand ich den fremden Ausweis, den wir gemeinsam gefunden hatten, zum zweiten Mal. Ich betrachtete ihn und nahm ihn an mich. Ich hatte jetzt zwei Gebrauchtfrauen, einen Gebrauchtjob, einen Gebrauchtwagen und jetzt auch noch einen Gebrauchtschreibtisch.



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