Richard Wagner by Geck Martin

Author:Geck, Martin [Geck, Martin]
Language: deu
Format: epub
Publisher: Siedler
Published: 2012-08-30T22:00:00+00:00

Indem Wagner auf engstem Raum von as-Moll nach E-Dur moduliert, bedient er sich nicht von ungefähr des Mittels der enharmonischen Verwechslung: Gleich dieser hat auch Wotans Seelenlage im Augenblick seiner herben Worte »So nimm meinen Segen ...« etwas Unwirkliches: War das Rheingoldmotiv am Ende des Rheingold in einer Szene erklungen, in der man die Götter ganz real in ihre prächtige Burg einziehen sieht, so erscheint es jetzt in einem verzerrten Kontext, der besser als alle Worte klarmacht, dass Wotan seinem Widersacher Alberich Walhall nunmehr überlassen will – als einen Besitz, der für ihn selbst inzwischen nur noch eine wertlose Kulisse darstellt. In Stummfilmen hätte man die Distanz, die zwischen Wotans pompösem Einzug in Walhall und seinem jetzigen »grimmigen« Verzicht liegt, mit Zwischentiteln wie »100 Jahre später« überbrückt; die Musik gleicht mittels ihres zirkulären Zeitverständnisses noch weit größere Zeitsprünge aus.

Wagners Hinweis auf die kunstvolle Kombination von Rheingold-und Walhallmotiv, um die es hier geht, erfasst nur ein winziges – ein winziges! – Detail der kompositorischen Kunst, mit der allein Wotans Monolog ausgestattet ist. Eine gründlichere Analyse der Stelle und ihres musikalischen Kontextes bietet der Musikologe Bernhard Benz. 478 Allerdings bedient er sich – wie leider manche seiner Kollegen – einer Fachsprache, die selbst für Spezialisten fast ungenießbar ist. So belasse ich es bei einem Hinweis und schließe gleich mein eigenes Resümee an. Im Ring, mehr noch: im Werk Wagners, gibt es keine »große Erzählung«, in der Handlung, Gesangsvortrag und Orchestermelodie auf ähnlich ingeniöse Weise zu einer widersprüchlichen Gesamtkunst verschmolzen wären wie in Wotans Monolog. Auf der vordergründig rhetorischen Ebene steigert sich Wotans Vortrag von den »mit gänzlich gedämpfter Stimme« und rezitativisch vorgetragenen Eingangsworten »Als junger Liebe Lust mir verblich« zu dramatischen Eruptionen, die in mehreren, sich verstärkenden Wellen erfolgen: Nachdem er sich zunächst noch an seiner eigenen Phantasie, »kühner Kämpfer Schaaren« in »Walhall’s Saal« zu versammeln, berauscht hat, macht er zunehmend seiner Bedrängnis Luft. Die schon zitierten Regieanweisungen sprechen für sich: »Wotan’s Gebärde geht aus dem Ausdruck des furchtbarsten Schmerzes zu dem der Verzweiflung über«, heißt es vor dem Vortrag der Worte »Fahre denn hin, herrische Pracht, göttlichen Prunkes prahlende Schmach!«, und »Mit bitt’rem Grimm sich aufrichtend« vor dem Ausruf »So nimm meinen Segen, Niblungen-Sohn! Was tief mich ekelt, dir geb’ ich’s zum Erbe, der Gottheit nichtigen Glanz!«.

Von Wotans Gesangspart her gesehen, könnte dies an einen Gefühlsausbruch erinnern, wie ihn König Philipp in der Arie »Ella giammai m’amò« (»Sie hat mich nie geliebt«] in Verdis Don Carlos auf die Bühne bringt. Indessen gibt es zwei weitere Deutungsebenen. Zum einen geriert sich Wotan in seiner Erzählung nicht nur emotional, sondern auch argumentativ: Obwohl er das »Ende« will und seine Erzählung, unter rhetorischem Aspekt, deutlich auf ein Ende zusteuert, bewegt sich diese im Wesentlichen in der Vergangenheit, mit der Wotan längst nicht abgeschlossen hat; vielmehr kreist alles um die retrospektive Frage, warum sich der Weltenlauf zu seinen Ungunsten entwickelt hat. Und im Hintergrund dieser Selbstreflexion, die nicht frei von Selbstbetrug und Larmoyanz ist, steht offenkundig die vage Hoffnung, dass sich das Ruder doch noch herumreißen ließe.

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