Oper und Drama by Richard Wagner

Oper und Drama by Richard Wagner

Author:Richard Wagner [Wagner, Richard]
Language: deu
Format: epub
Published: 2011-04-27T22:00:00+00:00


[ IV ]

Für die Kunst, um die es bei dieser Untersuchung uns einzig zu tun war, liegt in der Vernichtung des Staates nun folgendes, über alles wichtige Moment.

Die Darstellung des Kampfes, in welchem sich das Individuum vom politischen Staate oder vom religiösen Dogma zu befreien suchte, mußte um so notwendiger die Aufgabe des Dichters werden, als das politische Leben, von dem entfernt der Dichter endlich nur noch ein geträumtes Leben führen konnte, von den Wechselfällen dieses Kampfes selbst, als von seinem wirklichen Inhalte, mit immer vollerem Bewußtsein erfüllt war. Lassen wir den religiösen Staatsdichter beiseite, der auch als Künstler den Menschen mit grausamem Behagen seinem Götzen opferte, so haben wir nur den Dichter vor uns, der, von wahrhaftem schmerzlichem Mitgefühle für die Leiden des Individuums erfüllt, als solches selbst und durch die Darstellung seines Kampfes, sich gegen den Staat, gegen die Politik wendete. Die Individualität, welche der Dichter in den Kampf gegen den Staat führte, war aber der Natur der Sache nach keine rein menschliche, sondern eine durch den Staat selbst bedingte. Sie war von gleicher Gattung wie der Staat und nur der innerhalb des Staates liegende Gegensatz von dessen äußerster Spitze. Bewußte Individualität, d. h. eine Individualität, die uns bestimmt, in diesem einen Falle so und nicht anders zu handeln, gewinnen wir nur in der Gesellschaft, welche uns erst den Fall vorführt, in dem wir uns zu entscheiden haben. Das Individuum ohne Gesellschaft ist uns als Individualität vollkommen undenkbar; denn erst im Verkehr mit anderen Individuen zeigt sich das, worin wir unterschieden von ihnen und an uns besonders sind. War nun die Gesellschaft zum politischen Staate geworden, so bedang dieser die Besonderheit der Individualität aus seinem Wesen ebenso, und als Staat – im Gegensatze zur freien Gesellschaft – natürlich nur bei weitem strenger und kategorischer als die Gesellschaft. Eine Individualität kann niemand schildern ohne ihre Umgebung, die sie als solche bedingt: war die Umgebung eine natürliche, der Entwickelung der Individualität Luft und Raum gebende, frei nach innerer Unwillkür an der Berührung mit dieser Individualität soeben sich elastisch neu gestaltende, so konnte diese Umgebung in den einfachsten Zügen treffend und wahr bezeichnet werden; denn nur durch die Darstellung der Individualität hatte die Umgebung selbst erst zu charakteristischer Eigentümlichkeit zu gelangen. Der Staat ist aber keine solche elastisch biegsame Umgebung, sondern eine dogmatisch starre, fesselnde, gebieterische Macht, die dem Individuum vorausbestimmt – so sollst du denken und handeln! Der Staat hat sich zum Erzieher der Individualität aufgeworfen; er bemächtigt sich ihrer im Mutterleibe durch Vorausbestimmung eines ungleichen Anteiles an den Mitteln zu sozialer Selbständigkeit; er nimmt ihr durch Aufnötigung seiner Moral ihre Unwillkürlichkeit der Anschauung, und weist ihr, als seinem Eigentume, die Stellung an, die sie zu der Umgebung einnehmen soll. Seine Individualität verdankt der Staatsbürger dem Staate; sie heißt aber nichts anderes als seine vorausbestimmte Stellung zu ihm, in welcher seine reinmenschliche Individualität für sein Handeln vernichtet und nur höchstens auf das beschränkt ist, was er ganz still vor sich hin denkt.

Den gefährlichen Winkel des menschlichen Hirnes, in welchen sich



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