Wie Jakob die Zeit verlor by Jan Stressenreuter

Wie Jakob die Zeit verlor by Jan Stressenreuter

Author:Jan Stressenreuter [Stressenreuter, Jan]
Language: deu
Format: epub
Publisher: Querverlag
Published: 2013-03-07T23:00:00+00:00


II. Geisterbeschwörung

Lying in my bed I hear the clock tick,

and think of you

Caught up in circles, confusion –

is nothing new,

Flashback – warm nights –

almost left behind

Suitcases of memories,

Time after –

Cyndi Lauper – Time after Time

---

Jakob hat seinen Schreibtisch aufgeräumt, um für sein Vorhaben Platz zu schaffen. Wobei das Wort „aufräumen“ großzügig interpretiert ist. Eigentlich hat er nur den Wust der Unterlagen, die sich um den Monitor seines Rechners stapeln, zur Seite geschoben, hat Stifte, Notizzettel, Rechnungen, CD-Rohlinge und Kalender mit seinem Ellenbogen an das linke Ende des Tisches verbannt, bis die Arbeitsplatte wieder zum Vorschein kam. Auch die Fotos aus dem Karton in der Abstellkammer hat er wieder herausgekramt, als Gedächtnisstütze, als Halt. Sie liegen auf dem Boden neben ihm, kreuz und quer verstreut wie buntes Herbstlaub, das in seine Wohnung geweht wurde.

Anfangs wollte er seine Erinnerungen an Marius auf dem Computer niederschreiben, aber nachdem er eine Viertelstunde auf ein geöffnetes, leeres Word-Dokument gestarrt und den blinkenden Cursor hypnotisiert hat, hat er den PC ausgeschaltet und Maus und Tastatur auf den nutzlosen Haufen zu seiner Linken geräumt. Es fühlte sich nicht richtig an, Marius einem Computer anzuvertrauen. Zu verführerisch ist die Gefahr des schnellen Korrigierens, der Schönfärberei. Mit ein paar einfachen Tastenberührungen wird aus Wahrheit Fälschung, aus Ehrlichkeit Lüge. Jetzt liegen ein Kugelschreiber und ein Blatt Papier vor ihm, ebenfalls leer, weiß und unbeschrieben, und Jakob muss einsehen, dass sein eigenes Zögern, sein eigener Widerwille der Grund ist, warum sich die Seite nicht mit Worten füllt.

Vielleicht kann er Silky Legs beim nächsten Termin einfach sagen, dass er noch keine Zeit gehabt hat, ihrer Aufforderung Folge zu leisten? Oder er könnte eine Erkältung vortäuschen, die ihn zu Bettruhe und Nichtstun gezwungen hat. Aber die Therapeutin würde seine Ausrede durchschauen, ihn vor sich selbst bloßstellen, ihn mit Stille und Schweigen bekämpfen, bis er anfinge zu reden. Besser, selbst die Kontrolle zu haben, seine Gedanken zu lektorieren, zu zensieren, wenn nötig. Also schreiben.

Brüsk hascht er nach einer Erinnerung an Marius und zwingt sie mit ungelenken Fingern auf Papier. Doch als er den ersten vollständigen Satz liest, zuckt er erschrocken zurück. Gerade noch sind die Worte wie durchs Licht angezogene Nachtfalter in seinem Kopf herumgeschwirrt, lebendig und zart, doch nachdem er sie eingefangen hat, kommen sie ihm vor wie die aufgespießten Insektenleichen in einem Schaukasten, starr, reglos, nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Er zerknüllt das Blatt Papier und bemüht sich, seinen Unwillen zu vergessen, wirft einen Blick auf die Fotos zu seinen Füßen, atmet tief ein und beginnt erneut. Diesmal gelingt es ihm besser; die Worte, die er jetzt niederschreibt, sind wie Fische in einem Aquarium – manche bunt, manche unscheinbar, aber immerhin sind sie alle lebendig.

Es ist eine Postkartenidylle, fast kitschig schön: Ein rot getünchter Abendhimmel, die Sonne geht im Westen hinter ein paar Schleierwolken unter, fett und rund wie eine Apfelsine. Wir sind in Florenz, im Spätsommer 1987, auf einem ziemlich abschüssigen Campingplatz etwas außerhalb der Stadt, kurz vor dem Ende unseres Italienurlaubs. Marius hat unser schmales 2-Mann-Zelt aufgebaut – ich glaube,



Download



Copyright Disclaimer:
This site does not store any files on its server. We only index and link to content provided by other sites. Please contact the content providers to delete copyright contents if any and email us, we'll remove relevant links or contents immediately.