Schamland by Stefan Selke

Schamland by Stefan Selke

Author:Stefan Selke
Language: deu
Format: epub
Publisher: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Published: 2013-03-12T16:00:00+00:00


Krümel vom Kuchen

Was uns fehlt, ist Gerechtigkeit.* Wir machen bei Tafeln täglich neue Erfahrungen mit Ungerechtigkeit. Was nervt, sind die Mitarbeiter, die einfach Ware zurückhalten oder sich ­Lebensmittel mitnehmen. Ist es Diebstahl? Oder Organisa­tionstalent?* Wenn man nicht aufpasst, sind von 100 Kilo schönem Obst nur noch 50 Kilo übrig.* Die haben da so Geheimecken, da werden ganz viele Sachen gehortet.* Da wird eingehalten. Da kommt viel in die eigene Tasche. Das kriegen nicht wir.* Die nehmen sich zuerst, was sie brauchen.* Es kommt so viel Ware rein, wo geht die hin?*

Das ist eines der Tabu-Themen bei Tafeln. Die Selbstbedienung der Helfer. Wir beobachten, wie Ware verschoben wird. Wie sich die Helfer selbst bedienen. Wir fragen uns, wie es sein kann, dass wir drei Stunden warten und die Ehrenamt­lichen mit vollen Tüten nach Hause gehen. Das ist keine Gerechtigkeit!* Da helfen auch keine Taschenkontrollen.* Wir merken, wie die einen mehr und die anderen weniger Ware bekommen – je nach Sympathie oder Antipathie.* Das ist nicht die Regel, aber auch nicht die Ausnahme. Wenn man nur mit Vitamin B etwas bekommt, dann ist das ungerecht.* Man wird Ungerechtigkeit niemals abschaffen können, solange es Menschen gibt. Aber bei Tafeln ist die Ungerechtigkeit ins System eingebaut. Unser Eindruck ist, dass wir nur noch die Krümel vom Kuchen bekommen. Die Mitarbeiter bei der Tafel nehmen sich die besten Stücke. Die ersten Stücke bekommen die Fahrer, das zweite Stück die Helfer bei der Ausgabe. Manches kommt niemals bei uns an. Wir sind die Letzten in der Nahrungskette. Wir bekommen nur noch die Krümel.* Das macht uns wütend!*

Natürlich wissen wir, dass Tafeln Orte wie andere sind. Es kann keine absolute Gerechtigkeit geben. Wir sagen auch nicht, dass sich die Helfer keine Mühe geben. Jedem gerecht zu werden, ist eine Kunst, die keiner beherrscht.* Jeder möchte was haben, jeder hat einen Wunsch. Die Helfer können aber nicht alle Wünsche erfüllen.* Wenn man bei Tafeln Gerechtigkeit einführen möchte, müssten wirklich alle Lebensmittel in den Mixer. Gut durchmixen und dann grammgenau abwiegen und austeilen. Gerechtigkeit, vergessen wir’s.*



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