Buerger, ohne Arbeit by Wolfgang Engler
Author:Wolfgang Engler [Engler, Wolfgang]
Language: deu
Format: epub
Publisher: Aufbau
Published: 0101-01-01T00:00:00+00:00
§ 29 Konservative Staatsversessenheit
1. Die tänzerische Leichtigkeit im Umgang mit Prinzipien, der Hang zum graziösen Betrug, die den sophistischen Talenten eines Felix Krull geschuldet sein könnten, sind dem preußisch-deutschen Konservatismus im ganzen durchaus fremd. In seiner Abtrünnigkeit vom Ursprung bleibt sich dieser Konservatismus für Jahrzehnte treu (§ 25.5–7), mit anderen Worten: Hier hat der »Verrat« Tradition, die Tradition der deutschen Misere. Erst blieb die soziale Revolution aus, dann, 1848, blieb sie im ersten Ansatz stecken; dieser Motor der gesellschaftlichen Modernisierung kam nie in Gang. Sein Ersatzaggregat, die »Revolution im guten Sinne«, wurde in der Restaurationsperiode weitgehend lahmgelegt, gelegentliche Zuckungen durch Demagogenfurcht und Demagogenverfolgung nachhaltig eingeschüchtert.242 Die Universitäten unterlagen rigider Aufsicht und Kontrolle, mißliebige Professoren wurden entlassen, Pressegesetze und Zensurbestimmungen verschärft, »revolutionäre Umtriebe« von einer eigens zu diesem Zweck gegründeten Kommission geahndet, Reformbeamte in die Defensive gedrängt, Machtbefugnisse und Sonderstellung des Adels wiederhergestellt.
Manche Kinder der Reformzeit überwinterten unter der engen Glocke, Volksschulen, Gymnasien, naturwissenschaftliche und technische Fakultäten, selbst einzelne geisteswissenschaftliche Fachbereiche gediehen besser als befürchtet; der Aufstieg der Vereine und des Vereinswesens fällt in diesen Zeitabschnitt, ebenso die auf ganz Europa ausstrahlende romantische Bewegung. Dennoch war die Nation auch zu Beginn der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts noch immer nicht geeint, weder auf klein- noch auf großdeutsche Art, verfügte Preußen, der mächtigste deutsche Staat, über keine fortgeschrittene Sozialstruktur und Wirtschaftsweise. Konkurrent unter Konkurrenten, die ihre Hausaufgaben mehrheitlich besser erledigt hatten, zerplatzte der preußische Traum von einer größeren Rolle im europäischen Konzert, von hegemonialer Bedeutung, an der fortbestehenden sozialökonomischen und politischen Verspätung dieser Kryptonation.
Aus dieser verzweifelten Lage, die ein weiteres Zurückfallen nicht duldete, eine Modernisierung der Gesellschaft auf dem Hauptpfad der Epoche (freie Marktwirtschaft und Demokratie) nicht erlaubte, konnte nach schon bewährter Art nur eine Hybridbildung den Ausweg weisen: eine zweite »konservative Revolution«. Sie folgte in noch höherem Grade als die ihr vorhergehende der Devise: »Überholen ohne einzuholen!«, und sie fiel in eine Ära, die das kühne Unterfangen unterstützte. »Am Anfang war Bismarck«243; die zeitgleich zutage tretende Krise des Manchesterkapitalismus (§ 21) förderte seine Pläne ganz erheblich.
2. Hatten die Reformen von Stein und Hardenberg die Weichen für den Übergang Preußens zur ersten industriellen Revolution gestellt, schufen die Bismarckschen Reformen die Voraussetzungen für die erfolgreiche Bewältigung der zweiten industriellen Revolution. Der deutsche Konservatismus wurde aufs neue, was er schon einmal war: systematisch, grundsätzlich, fortschrittsgläubig und überdies staatstragend bis zur Staatsversessenheit.
Es ist nicht ohne Ironie, wie die politisch und mental zutiefst konservativ gesonnenen Eliten, wie Grundbesitzer, Großindustrielle, hoher Staatsadel von nun an und bis ins späte Kaiserreich direkt sozialistische Vorhaben unerschrocken in Angriff nahmen, um Deutschlands europäischen Machtanspruch trotz aller historischen Verzögerung fundieren zu können. Kommunikative Infrastrukturen, Verkehrs- und Versorgungssysteme wurden als staatliche oder städtische Projekts geplant und mit hohem Tempo realisiert; das schon weit gespannte Netz von Schulen, Hochschulen, Universitäten dehnte sich noch einmal beträchtlich aus; Fach- und Fachhochschulen, der angewandten Wissenschaft verpflichtet, verkoppelten Forschung und wirtschaftliche Praxis; der überkommene Bestand an Museen, Theatern, Bibliotheken wurde aus öffentlichen Mitteln gepflegt und weiter ausgebaut; ein modernes staatliches Gesundheitswesen entstand; Staat und Städte bauten Markthallen,
Download
This site does not store any files on its server. We only index and link to content provided by other sites. Please contact the content providers to delete copyright contents if any and email us, we'll remove relevant links or contents immediately.
The Brazilian Economy since the Great Financial Crisis of 20072008 by Philip Arestis Carolina Troncoso Baltar & Daniela Magalhães Prates(106113)
International Integration of the Brazilian Economy by Elias C. Grivoyannis(75883)
The Art of Coaching by Elena Aguilar(52216)
Flexible Working by Dale Gemma;(23213)
How to Stop Living Paycheck to Paycheck by Avery Breyer(19572)
The Acquirer's Multiple: How the Billionaire Contrarians of Deep Value Beat the Market by Tobias Carlisle(12117)
Thinking, Fast and Slow by Kahneman Daniel(11812)
The Radium Girls by Kate Moore(11641)
The Art of Thinking Clearly by Rolf Dobelli(9936)
Hit Refresh by Satya Nadella(8871)
The Compound Effect by Darren Hardy(8530)
Atomic Habits: Tiny Changes, Remarkable Results by James Clear(8055)
Tools of Titans by Timothy Ferriss(7833)
Turbulence by E. J. Noyes(7720)
Change Your Questions, Change Your Life by Marilee Adams(7389)
A Court of Wings and Ruin by Sarah J. Maas(7289)
Nudge - Improving Decisions about Health, Wealth, and Happiness by Thaler Sunstein(7262)
How to Be a Bawse: A Guide to Conquering Life by Lilly Singh(7167)
Win Bigly by Scott Adams(6839)
